Die Kunst und ich, oder: Muss man Kunst verstehen?

Die Kunst und ich, wir haben ein merkwürdiges Verhältnis. Einerseits sind Ausstellungen – neben Kaffee trinken gehen – meine liebste Freizeitbeschäftigung. Andererseits ziehe ich manchmal durch ein Museum und denke unaufhörlich: Verstehe ich nicht, verstehe ich nicht, verstehe ich nicht. Aber vielleicht geht es ja auch gar nicht ums Verstehen, sondern um das, was die Kunst mit uns macht?

Erste Erinnerungen an Kunst

Meine erste Erinnerung an Kunst ist der verhüllte Reichstag: Jemand namens Christo – der dem Namen nach wohl irgendwas mit Religion zu tun haben musste – hat das Gebäude komplett mit einer silbernen Decke überworfen und das Ganze mit blauen Seilen festgezurrt. Halb Berlin kam zusammen, um sich das Ergebnis anzuschauen. Es war ein Familienevent, wir machten Fotos von uns vor dem silbernen Hintergrund. Danach lag ein kleines Quadrat der Decke noch lange in der Schrankwand. Einer aus meiner Klasse hatte sogar ein Stück Seil ergattert und meinte, das wäre später mal viel wert.

Als wir in der Schule über Van Gogh sprachen und darüber, wie berühmt und wertvoll das Bild mit den Sonnenblumen ist, schaute ich mich ungläubig in der Klasse um – das konnte doch nicht sein, das hing ja bei meiner Oma! Im Schlafzimmer! Und im Flur hatte sie noch den Dürer-Hasen! Ich fragte mich, ob meine Oma wusste, welche Reichtümer sie da in ihrer kleinen Mietwohnung hängen hat.

Der Dokumenteuse in mir gefielen die Sachen von Sophie Calle

In einer der höheren Klassen ging es in eine richtige Ausstellung, am Ku’Damm. Sophie Calle hat Leute in ihrem Bett schlafen lassen, damit es nicht kalt wird. Dabei hat sie ihnen Fragen gestellt und sie fotografiert. Als exzessive Tagebuchschreiberin mochte ich sofort das Dokumentarische. Sophie Calle ist auch Menschen auf der Straße gefolgt, wie ein Privatdetektiv. Und einmal hat sie einen richtigen Privatdetektiv angeheuert und auf sich selbst angesetzt.

Während meines Auslandsjahrs in Madrid begann ich mit dem Kunstanschauen als Freizeitbeschäftigung. Man hatte ein Ziel, lief einfach los, kam auch mal in andere Stadtteile und konnte Großartiges entdecken. Zum Beispiel die Collagen von einem jungen Künstler, „Madrid am Meer“ war der Titel. Er hatte einfach Stadt- und Landkarten auseinandergeschnitten und Madrid ans Meer geklebt. Und mir damit aus der Seele gesprochen.

Kleine Erleuchtungsmomente

Ich studierte schon in Düsseldorf, als ich immer noch nicht verstand, warum man sich ein Bild im Museum anschauen sollte, wenn das auch in Katalogen abgedruckt oder im Internet einsehbar ist. Dann stand ich wieder vor Van Gogh. Im Essener Museum Folkwang hingen die Impressionisten, mit ihrer pastosen Punkte-Pinseltechnik, die mich schon im Kunstunterricht fasziniert hatte. Von Weitem war es ein Hafen am Abend. Aber wenn man näher ranging, konnte man erkennen, wie sich Farbtupfer neben Farbtupfer von der Leinwand absetzte. Okay, das war cool.

Später dasselbe mit der Videokunst. Wann ist ein Video denn Kunst, fragte ich mich. Dann sah ich „Human Mask“ von Pierre Huyghe. Man saß vor einer riesigen Leinwand, wie im Kino. Und da war diese komische Porzellanmaske, auf diesem komischen Kind – was eigentlich ein Affe war – in dieser komischen japanischen Umgebung nach Fukushima – ein verlassenes Restaurant – und im Hintergrund diese komischen Geräusche … Und all das, was komisch war, kreierte eine Atmosphäre, eine Stimmung, die sich nicht in Worte fassen lässt. Auch nicht für jemanden, der normalerweise alles in Worte fassen will.

Oft ist Kunst ein Erlebnis. Zum Beispiel wenn man bei Erwin Wurm selbst zur One Minute Sculpture wird.

In meiner Bar arbeitete ein Student aus der Kunstakademie. Wir unterhielten uns einmal über den Rundgang, bei dem auch er seine Bilder zeigte. Das Gespräch war nett, bis er sagte: „Ach Carina, das verstehst du nicht.“ Wieder war ich eingeschüchtert von der Kunst, hatte das Gefühl, man müsse Kunst verstehen, um mit ihr zu tun haben zu dürfen.

Der Ausstellungsort als Souvenir

Doch es ging immer weiter durch die Ausstellungen, in Düsseldorf, aber auch in jedem Urlaub. In einem meiner Lieblingsbücher, „Life of Pi“, erzählt Pi von seinem Onkel, der ein großer Schwimmer war und Schwimmbäder auf der ganzen Welt sammelte wie andere Souvenirs. So geht es mir mit Museen und Ausstellungsorten heute. In jeder Stadt wird zuerst die zeitgenössische Kunst gesucht. Denn diese Orte der Kunst sind oft in den interessantesten Gebäuden, meist sind sie menschenleer und man findet solch eine innere Ruhe … Irgendwer hat mal Museen mit Kathedralen verglichen.

An den „Verstehe ich nicht“-Werken schlendere ich heute selbstbewusst vorbei. Ich muss nicht alles verstehen, und mögen schon gar nicht. Dafür kommen ein paar Meter weiter dann wieder Werke, bei denen ich hellwach werde: „Ach, das ist ja cool!“ oder „Wie geht das?“ Dann lasse ich mich ein, auf diese anderen Welten, die oft wie ein Spielplatz für Erwachsene sind. Die mich für ein paar Minuten den Alltag da draußen vergessen und etwas Neues erfahren lassen. So ähnlich wie ein Traum, in dem man fliegen kann und nach dem man noch bis mittags das Gefühl hat, man habe etwas ganz Besonderes erlebt. Etwas, das irgendwie komisch war. Aber eben komisch im guten Sinne.

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