Es gibt Dinge, die macht jeder jeden Tag: Zähneputzen, essen, trinken. Vielleicht auch Mails checken, Blumen gießen, Geschirr abwaschen. Es sind Dinge, die weder unseren Puls erhöhen noch unsere Kreativität großartig beanspruchen. Wir machen sie automatisch. Das Gehirn kann das, um Energie zu sparen.
Und dann gibt es Sachen, die macht man eher nicht jeden Tag: dasselbe anziehen, einen Holzlöffel schnitzen, ein Gedicht schreiben. Zugegeben, diese Beispiele sind eher aus dem kreativen als aus dem praktischen Bereich. Doch genau deshalb sind sie perfekt für das Projekt Ein Jahr lang jeden Tag eins.
Die Journalistin Meike Winnemuth hat ein Jahr lang das gleiche blaue Kleid getragen. Das kleine Blaue hieß ihr Projekt. Als sie das in der Sendung Wer wird Millionär erzählte, war man sofort voll da: Was für eine ungewöhnliche Idee, klappt das wirklich und ist es immer dasselbe Kleid? Was für die Zuschauer unterhaltsam ist, war wohl auch für sie selbst eine große Bereicherung: Ein Jahr lang kombinierte sie nicht nur besagtes Kleid mit anderen Kleidungsstücken und Accessoires immer wieder neu, sondern setzte sich auch mit den Themen Aussortieren und Konsumreduktion auseinander.
Auch Stian Korntved Ruuds Projekt umfasste ein ganzes Jahr: Jeden Tag schnitzte der norwegische Produktdesigner einen neuen Holzlöffel. Um nicht 365 gleiche Löffel zu haben, beschäftigte sich Ruud Tag für Tag mit der Ästhetik und den Produkteigenschaften dieses scheinbar so einfachen Essgeräts und wurde zum Experten für Holzarten.
Nun wollte ich auch so ein Projekt und startete im letzten November mit One Poem a Day: jeden Tag eine kleine Wortskizze, eine Alltagsbeobachtung, ein bisschen mit den Wörtern spielen. Ein halbes Jahr ist jetzt vorbei und ich staune immer wieder, dass einem tatsächlich jeden Tag etwas Neues einfällt, wenn man sich nur damit befasst. Und wie glücklich einen das macht: täglich ein kleines selbstgemachtes Produkt in den Händen zu halten. Sich selbst solch einen zeitlichen Plan vorzugeben, klingt im ersten Moment völlig absurd. Tatsächlich ergeben sich aber eine ganze Reihe von Vorteilen:
- Man hat ein konkretes Ziel vor Augen. Wenn ich mir vornehme: Ich will mehr schreiben, dann ist das zu abstrakt und der Plan verläuft leicht im Sande. Wenn ich jedoch formuliere: Ich schreibe jeden Tag eine kleine Wortskizze, und sei es nur ein Einwortgedicht – dann greife ich auch in der U-Bahn oder kurz vor dem Schlafengehen noch einmal schnell zum Stift.
- Es nimmt die Angst vorm weißen Blatt. Das Ergebnis ist nicht planbar, es ist tagesabhängig. Wird’s heute nicht gut, dann eben morgen, es kann nicht jeden Tag die ganz große Kunst entstehen. Man beginnt, lockerer zu werden.
- Man setzt sich jeden Tag mit dem Thema Schreiben auseinander. Guckt, wie es andere machen, liest darüber – das führt zu mehr Wissen und dadurch auch zu immer neuen Ideen. Man kann verschiedene Schreibstile ausprobieren, sich von der Kunst einer Ausstellung oder einem kürzlich entdeckten Dichter ebenso inspirieren lassen wie von einem Werbeplakat am Hauptbahnhof oder einer beobachteten Szene auf einem Spielplatz.
- Ein Jahr lang jeden Tag – das ergibt eine hohe Produktion. Und umso mehr Textchen man gesammelt hat, desto mehr Auswahl entsteht, wenn es um die eigenen Lieblingsskizzen geht. Gleichzeitig merkt man, welche Formen einem Spaß machen und gut funktionieren und welche nicht.
Und: Es muss ja nicht gleich ein ganzes Jahr sein. Man kann es auch mit einer kleineren Zeitspanne ausprobieren. Einen Monat lang jeden Tag eins – das sind schon 30 kleine Kostbarkeiten. Und man staunt, wieviel da zusammenkommt, wenn man sich nur jeden Tag ein wenig Zeit dafür nimmt.