Vor einiger Zeit bekam ich Post, so ganz analog. Das ist an sich schon eine feine Sache, aber das Beste daran war die Briefmarke: Die „Deutsche Brotkultur“ wurde hier geehrt, mit einem Foto von frisch geschnittenem Brot. Ich mag Brot, ich mag schönes Design und ich war sofort verliebt in dieses kleine Kunstwerk. Da fragte ich mich: Wer gestaltet eigentlich unsere Briefmarken?
Um mehr darüber herauszufinden, habe ich mit zwei Briefmarkendesignern gesprochen. Also mit zwei Grafikdesignern, die regelmäßig eingeladen werden, bei einem Briefmarken-Wettbewerb teilzunehmen. Angestoßen wird das Ganze übrigens nicht von der Deutschen Post, sondern vom Bundesfinanzministerium, bei dem jeder Themen für die 50 Sondermarken pro Jahr vorschlagen kann.
Steht ein Thema fest, gibt es einen Wettbewerb, zu dem sieben bis acht Gestalter eingeladen werden. Um in diesen Pool zu gelangen, kann man sich bewerben. Oder man wird, wie Matthias Wittig von der Berliner Agentur fernkopie, von einer Bekannten vorgeschlagen, die im Kunstbeirat des BFM sitzt und frischen Wind ins Briefmarkendesign bekommen möchte.
Loki Schmidt – mit oder ohne Blumen?
Das Spannende sei die Ideenfindung, sagt Wittig: “Eine Briefmarke ist ein Nadelöhr, durch das nur wenige Infos passen.” Man bekommt ein Themenblatt und muss sich dann entscheiden, worauf man den Fokus legt. Zum Beispiel bei der Loki-Schmidt-Briefmarke: Da kam das Themenblatt von der gleichnamigen Stiftung, die auch den Vorschlag eingereicht hatte. Hier ist die Stiftung sehr auf Loki Schmidt als Botanikerin, Umweltschützerin und als Gründerin der “Blume des Jahres” eingegangen.
Also designte Wittig eine strahlend gelbe Marke mit Loki Schmidt, Blumen und einem breiten Lächeln. Mit solch einem farbenfrohen Design hatte er 2013 auch „800 Jahre Dessau“ gewonnen – die war schön knallig orange. All seine Entwürfe kann man im Briefmarkenarchiv auf seiner Website anschauen.
Allerdings kann die Marke noch so schön sein, sie muss eben auch dem Bundesfinanzminister und dem Kunstbeirat zusagen. Und die fanden dann die Botanik gar nicht interessant – realisiert wurde letztendlich eine Schwarz-Weiß-Marke, die Hannelore Schmidt irgendwie eher politisch aussehen lässt. Man steckt nicht drin, es ist alles Geschmackssache.
Die Zigarette auf der Briefmarke
Auch Carsten Wolff von der Frankfurter Agentur Fine German Design ist durch einen Bekannten im Kunstbeirat zum Briefmarkendesign gekommen. Wolff ist der Gestalter hinter der Marke mit den Stullen. Und auch er hat schon viele Jahre Briefmarken-Erfahrung. Die erste Marke mit seinem Design erschien zum 100-jährigen Geburtstag von Arnold Bode, dem Gründer der documenta. Deren Wert betrug noch 110 Pfennige, so lange ist das schon her.
Für diese Briefmarke wählte Wolff ein Foto des Künstlers, wie er auf einem Bordstein sitzt und mit der Zigarette in der Hand gestikuliert. Das mit der Zigarette ist ja immer so eine Sache, wie wir seit der Helmut-Schmidt-Münze wissen. Hier haben sich das Bundesfinanzministerium und der Münz-Gestalter Bodo Broschat für die Hand, aber gegen die Zigarette entschieden – und schon ging ein Aufschrei durch die ganze Nation: Guckt mal, die Münze, da fehlt doch was!
Tatsächlich wurde Carsten Wolff damals vom Kunstbeirat gebeten, die Zigarette aus Bodes Hand zu entfernen. Mit seiner Reaktion würde er heute wohl nicht mehr durchkommen: Er hat einfach Nö gesagt. Die Zigarette sei auf dem Foto, also bleibe sie auch auf der Marke, fertig.
Das kann aber auch nach hinten losgehen, wie 2001 mit der Audrey-Hepburn-Briefmarke von Antonia Graschberger, die den Filmstar mit Zigarettenspitze zeigte und gegen die ihre Söhne Einspruch erhoben, weil sie nicht wollten, dass ihre Mutter rauchend verewigt wird. Daraufhin wurden die 14 Millionen Marken, die bereits gedruckt worden waren, wieder vernichtet. Die wenigen Exemplare, die es dennoch in Umlauf schafften, erzielen bei Auktionen heute sechsstellige Beträge. Ironischerweise hat ausgerechnet einer der Söhne einen Bogen aufgehoben und 2010 für 430.000 Euro versteigert. Zwar für einen guten Zweck – aber trotzdem.
Gutes Design mit einfachen Mitteln
Wie kam es nun also zu dem herrlich minimalistischen Entwurf der Briefmarke zur Deutschen Brotkultur? Carsten Wolff ist ein großer Fan von Willy Fleckhaus. Das ist der Gestalter, der den Suhrkamp-Regenbogen entworfen hat. Der war dafür bekannt, mit einfachen Mitteln gutes Design zu erzielen. Daran hat sich Wolff orientiert.
Für die Brot-Briefmarke bekam er das übliche Themenblatt. Und da stehe ja vor allem drauf, was man alles nicht darf. Keine lebenden Personen abbilden zum Beispiel. Der Bäcker mit dem Brot in der Hand fiel also schonmal raus. Das mache man, um sich abzusichern. Falls eben jener Bäcker „nächste Woche um die Ecke geht und zwölf Leute umbringt.“ Man weiß ja nie.
Bleibt also das Brot an sich. Korn und Ähre sollten es auf keinen Fall sein; bei ganzen Broten hätte man nur lauter braune Klumpen auf der kleinen Marke gesehen. Am Ende gingen Wolff und seine Kollegen einfach runter zum Bäcker und kauften verschiedene Brotsorten, schnitten die an, fotografierten das Ganze und brachten die Scheiben versetzt aufs Blatt, auf weißen Grund.
Eine Auflage in Millionenhöhe
Man merkt schnell: Die Welt der Briefmarken ist schon eine ganz eigene im Gestalterkosmos. Ist man einer der Grafiker, die zu einem Wettbewerb eingeladen werden, bekommt man ein Honorar für die Teilnahme. 1100 Euro, die ersten drei Plätze bekommen noch etwas mehr Geld. Klingt erstmal super, aber dafür wird auch einiges verlangt.
Denn nicht nur die einzelne Marke will gestaltet werden, sondern auch sowas wie Ersttagsstempel und Ersttagsblatt für die Sammler. Oder der Rand des 10er-Bogens, auf dem oft nochmal das Thema aufgegriffen wird. Zum Beispiel mit einem kleinen grauen Brotschieber über der Brot-Marke.
Außerdem kann man seine Chancen erhöhen, indem man bis zu drei verschiedene Entwürfe einreicht. Da sitzt ein Grafikdesigner bis zu einer Woche dran. Wegen des Geldes wird das also wohl keiner machen. Auch nicht um Briefmarken kostenlos abzustauben – es gibt gerade mal einen 10er-Bogen als Belegexemplar.
Dabei ist die Auflage so hoch wie wohl bei keinem anderen Printmedium. Von Carsten Wolffs Marken erschienen bisher jedes Mal 15 bis 25 Millionen Stück. Wie viele Marken es jeweils genau gibt, richtet sich nach Thema und Wert. Den wiederum weiß der Gestalter nicht, im Entwurfsprozess arbeitet man hier mit einem Platzhalter. Aber natürlich hofft man auf ein Porto, was man auch möglichst häufig selbst verwenden kann. Im Fall der Stullen-Briefmarke hat sich das leider nicht ganz erfüllt. Sie bekam den 2018er Maxi-Brief-Wert von 260 Cent.
Es scheint also etwas anderes zu sein, was Briefmarkendesigner antreibt: Die Ehre, einen Beitrag zu einem kleinen Stück großen Kulturguts zu leisten. Die Herausforderung, ein Thema auf einer so begrenzten Fläche einzufangen. Und das schöne Gefühl, wenn das eigene kleine Werk in alle Welt verschickt wird und sich irgendwo jemand so sehr darüber freut wie ich mich über die Briefmarke mit dem frisch geschnittenen Brot.
Gefällt mir sehr, der Artikel! Und seltsam: ausgerechnet die Bode-Marke hatte ich als Vorbild vor Augen, als ich meine erste Briefmarke gestaltetet! Eine der ganz wenigen, die ich mal aufgehoben hatte…
Vielen Dank, das freut mich. Und das mit der Bode-Marke – was für ein Zufall! Oder vielleicht auch nicht, sind doch Herr Wolff und Sie eben beide Vertreter eines eher frischen Briefmarkendesigns.